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Die vier Kunststoffstreifen lassen sich ganz einfach verdrehen: zu einem Ring, zu einer Art Fischform oder einer gebogenen Raute. Andreas Anetseder hat zusätzlich zum Krempel auch den kleineren Krempelino entwickelt, ideal für die manuelle Espresso-Maschine. (Foto: Robert Haas)

Innenarchitekt Andreas Anetseder hat den Krempel entwickelt. Das ist ein Topfuntersetzer aus vier biegsamen Kunststoff-Streifen, für den der Münchner den German Design Award 2017 erhalten hat. In der Entwicklung steckt sein gesamtes Vermögen

Von Sabine Buchwald

Sobald man einmal verstanden hat, wie es geht, lassen sich die vier Kunststoffstreifen ganz einfach verdrehen: zu einem Ring, zu einer Art Fischform oder einer gebogenen Raute. Sie ist vielleicht die eleganteste Variante, erfordert vom Benutzer aber ein kleines bisschen Hirnschmalz: Nimmt man die vier mit Edelstahlnieten verbundenen Streifen von der richtigen Seite und drückt sie etwas nach innen, dann lassen sie sich wie von Zauberhänden erstaunlich leicht in die gewünschte Facon bringen. Andreas Anetseder nennt das den "Wow-Effekt".

Genau diesen Moment liebt er an seinem Produkt, dem "Krempel". Dieser Name verrät erst mal nichts über seinen Verwendungszweck. Im Duden finden sich für diesen Ausdruck Synonyme wie Schrott und Schund, Glumpert und Geraffel. Also etwas Altes? Anetseders Krempel ist ein neu entwickelter, hitzebeständiger Untersetzer für Töpfe, Pfannen oder Auflaufformen, unlängst ausgezeichnet mit dem German Design Award 2017. Der Name kommt von krempeln, also umstülpen oder umschlagen - mit Wow-Effekt.

Anderthalb Jahre hat Andreas Anetseder intensiv daran getüftelt, mit Holz und Metall experimentiert und schließlich den Krempel in Kunststoff umgesetzt. Der 54-Jährige, von Beruf Innenarchitekt, standesgemäß auch meistens schwarz angezogen, Motorradfahrer und Segler, ist einer, der sich schon mal festbeißt an einer Idee. Einer, der nicht locker lässt, auch wenn es schwierig ist. Horst Fleischmann, emeritierter Professor für Innenarchitektur an der FH Rosenheim, hält Anetseder für "ungeheuer zäh", für jemanden, bei dem alles "110-prozentig" sein muss. "Ein Perfektionist." Anetseder hat bei ihm Ende der Achtzigerjahre studiert. Die beiden sind in Kontakt geblieben. Die Grundidee für den Krempel stammt eigentlich von Fleischmann, weiterverfolgt aber hat er sie nicht.

Dieses Perfektsein, von dem Fleischmann spricht, hätte Anetseder finanziell fast ruiniert. Über Monate hinweg dachte er nur noch an sein Designerstück, investierte seine Ersparnisse. Allein ein halbes Jahr habe er sich nur mit Kunststoffen beschäftigt, bis er das Hightech-Material gefunden hatte, das heiße Töpfe nicht aus der Form bringen können.

"Ich musste erst den Slang der Materialvertreter lernen", erzählt Anetseder. Er fragte nach Elastizität und Kerbschlagzähigkeit, nach Rückstellverhalten und Temperaturbeständigkeit. Sie antworteten mit Fragen wie: "Wer bist du? Was willst du? Wie viel Tonnen meines Materials brauchst du?" Der Krempel-Kunststoff, ein Polycarbonat, für den er sich am Ende entschied, wird auch in der Medizintechnik verwendet, etwa für Sterilisationskästen in Krankenhäusern, für Hochleistungswasserrohre und für die Gepäckfächer im Flugzeug.

In diesem leistungsstarken Kunststoff hat Anetseder einen Verbündeten gefunden, wenn man bedenkt, welche Mengen an Rollkoffern über den Köpfen von Flugpassagieren verstaut werden. Das Material sei 50 mal teurer als handelsüblicher Kunststoff, sagt Anetseder. Ihm können aber bis zu 220 Grad Celsius nichts anhaben. Er bestellt es als Granulat, das bunt eingefärbt und dann gegossen wird. Dazu musste Anetseder eine Spritzgussform bauen lassen, was erst im zweiten Anlauf gut funktionierte. "Ich hätte nie gedacht, wie schwer es ist, einen flachen Streifen anzufertigen", sagt er. Produziert wird in Deutschland. "Developed and Manufactured in Germany" steht auf der Krempel-Verpackung, und tatsächlich ist der flache Topfuntersetzer komplett in Deutschland entwickelt und wird hier auch hergestellt und von hier versand.

Inzwischen hat sich zum großen, gerade mal 72 Gramm leichten Krempel, dessen Streifen drei Zentimeter breit und 20 Zentimeter lang sind, ein "Krempelino" mit nur 25 Gramm Gewicht gesellt. Der kleine Bruder ist der Freund der manuellen Espresso-Maschine, die immer und überall mit Wasserdampf Kaffee in die Kanne röchelt. Beim Camping zum Beispiel. Anetseder findet, dass seine Untersetzer, die Silikonscheiben um die Nieten rutschfest machen, zur Grundausstattung eines jeden Caravans gehören. Und in jeden Haushalt - oder in Schulen. Der Krempel sei doch ein Lehrmittel, um Kinematik zu erklären. Wenn es nach Anetseder ginge, würde er seine Erfindung von Untergiesing aus, wo er sein Büro hat, weltweit an Mann und Frau bringen. "Es ist doch ein perfektes Give-Away", sagt er in bairisch gefärbtem Denglisch.

Aufgewachsen ist er in München und arbeitet seit 2011 in der Krämer'schen Kunstmühle. Er war einer der ersten Mieter in dem Vorzeige-Kreativquartier am Auer Mühlbach. Solch architektonisch gelungene Arbeitsorte mit viel Glas und Holz gibt es nur wenige in München. Hier hat Anetseder Computer an langen Arbeitstischen stehen, und hier stapeln sich auch seine Krempel in verschiedenen Farbkombinationen: der Klassiker Schwarz mit Rot, Blau und Grün. Naturweiß. Orange.

Großkunden können bestellen, welche Farben sie wollen und ihr Firmenlogo aufdrucken lassen. Eine deutsche Küchenfirma und die Technische Universität München (TUM) haben das zum Beispiel so gemacht. An der TUM hat Anetseder als Innenarchitekt seine Handschrift hinterlassen: Lernkabinen für Studenten, die Bibliothek und den Shop der Universität. Sein Portfolio als Architekt ist lang. Er lebt seinen Beruf, ist geschieden, kinderlos. Restaurants und Läden, Bäder, Küchen, Büros in denkmalgeschützten und ländlichen Gebäuden, in Neubauten - Anetseder ist gefragt als Innenarchitekt. Die Firma oha-Design hätte er eigentlich nicht gründen müssen.

Jetzt, da der Krempel existiert, schillert einem buchstäblich schon das nächste Projekt in der Kunstmühle entgegen. Es sind Trinkgläser mit einem massiven Boden, einem sogenannten Eis, das farbig eingefärbt werden kann. Auf die Idee brachten ihn die vielen neuen Biere, die den Getränkemarkt seit einigen Jahren überschwemmen. Im Vergleich etwa zum Nachbarland Belgien, wo man schon lange variantenreicher trinkt und fast jedes der unzähligen Biere in ein spezielles Glas gießt, sind die Wirte hierzulande bislang pragmatisch. Willi-Becher, Weißbierglas, Maßkrug, Pilstulpe, das war es dann schon fast. "Ein India Pale Ale", sagt Anetseder, schmecke aus seinem Glas aber ganz hervorragend. Ihn selbst kann man auch mit einer Flasche in der Hand auf Partys sehen, so wie man es halt in München macht. Er liebe den Spaß am Design, sagt Anetseder, und stellt seine Kreativität tapfer gegen die Massenproduktion.